18. Bauforum
HinterLAND - Perspektiven für Wohnen + Arbeit
Alljährlich richtet das Bauforum Rheinland-Pfalz eine Jahresfachtagung mit innovativer Themensetzung aus. Am 13. Juni 2018 fokussierte sich das 18. Bauforum auf die Entwicklungsperspektiven der Landesräume jenseits der Schwarmstädte. Unter dem Motto „HinterLand – Perspektiven für Wohnen+Arbeiten“ hatte das Bauforum - jenseits der Schwarmstadt Mainz als üblichen Veranstaltungsort - nach Boppard eingeladen. Thematisch wurde ein breites Spektrum aufgemacht.
„Wohnen und Baukultur nicht nur in den Metropolen“, hierzu referierte eindrucksvoll Eliza McGownd von empirica ag, Berlin. Ausgehend von dem damals vom Bauforum angestoßenen empirica-„Gutachten zur quantitativen und qualitativen Wohnraumnachfrage in Rheinland-Pfalz bis zum Jahr 2030“ erläuterte McGownd, dass sich das früher großräumige Wanderungsverhalten mittlerweile in ein „Wanderungsverhalten in alle Richtungen“ verändert habe. In den im Jahr 2015 bundesweit definierten 30 Schwarmstädten, wovon drei auf Rheinland-Pfalz entfallen, schwächt sich der Bevölkerungsanstieg bereits ab. Die Chancen stehen gut, die Polyzentralität wieder zu beleben. Ortskerne und der Bestand sind baukulturell zu stärken. Dazu bedarf es einer aktiven Baulandpolitik der Kommunen. Und: gleichwertige Lebensverhältnisse können nur durch ungleiche Maßnahmen hergestellt werden, so McGownd. Der Spitzenverband der Wohnungswirtschaft GdW und die Bundesstiftung Baukultur haben bereits im Sommer 2017 ein gemeinsames Positionspapier mit erforderlichen Weichenstellungen für Räume jenseits der Metropolen öffentlich vorgestellt. Das zugehörige Hintergrundpapier von empirica ag enthält die auch von McGownd vorgestellten „Handlungsansätze zur Stärkung der Ankerstädte und versteckten Perlen.“
Nach diesem strategisch richtungsweisenden Vortrag erläuterte Prof. Dr. Gabi Troeger-Weiß von der TU Kaiserslautern, ob und wie Mittelstädte Stabilisatoren für ländliche Regionen sein können, wobei deren Lage – ob stadtregional oder ländlich-peripher – zu berücksichtigen ist. Strategien und Handlungsansätze zur Sicherung der Stabilisierungsfunktion wurden in einem speziellen Forschungsprojekt entwickelt. Troeger-Weiß stellte daraus für verschiedene Strukturbereiche konkret zu ergreifende Maßnahmen vor.
Noch viele Fragen offen
Bevor Praktiker aus den Regionen zu Wort kamen, erläuterte Roswitha Sinz, stellvertretende Vorsitzende des Bauforums Rheinland-Pfalz, dem Publikum, warum das Bauforum nunmehr die Entwicklungsperspektiven der Gebiete außerhalb der Wachstumsregionen in den Fokus rückt. Der Frage nach gleichwertigen Lebensbedingungen, die sich gerade für das Flächenland Rheinland-Pfalz stellt, folgt unmittelbar die Frage, welche Konzepte es denn gibt, um Städte und Gemeinden, die außerhalb der Wachstumsregionen liegen, zu attraktiven Wohn-, Arbeits- und Kommunikationsorten mit Ankerfunktion zu entwickeln. Nach dem im Jahr 2015 vorgelegten empirica-Gutachten mit der Sichtbarmachung der Schwarmstädte konzentrierte man sich auf deren Herausforderungen. Eine Fülle geeigneter Maßnahmenvorschläge liegt vor; sie müssen „nur“ umgesetzt werden. So befand das Bauforum, dass es Zeit ist, den Blick auf das Leben jenseits der umschwärmten Städte in Rheinland-Pfalz und deren Herausforderungen zu lenken. Ein vom Bauforum zum Jahresbeginn 2018 organisiertes Expertenhearing mit Vertretern der verschiedenen Fachministerien des Landes zeigte auf, dass es zwar vielfältige fachbezogene Strategien und Förderlandschaften gibt, die hinsichtlich des Postulats „Gleichwertigkeit der Lebensbedingungen“ jedoch (noch) nicht alle an einem Strang zu ziehen scheinen. Für das Bauforum sind daher noch viele Fragen offen, zu deren möglichen Beantwortung auch diese Fachtagung beitragen soll.
Mutmachende Handlungsansätze zeigten anschließend Dr. Hans-Günther Clev, Geschäftsführer ZukunftsRegion Westpfalz e.V., Matthias Kuhl, Geschäftsführer Premosys GmbH als Hidden Champion im ländlichen Raum, und Richard Haxel, Geschäftsführer BOTO Campus Meisenheim, ein Gründerzentrum für technologieorientierte Existenzgründer, auf. In der Reihe der guten Praxisbeispiele folgten die erfolgsversprechenden und integrierten Handlungsansätze für ein aktives Stadtzentrum Wittlich sowie eine lebhafte Schilderung "Wie die junge Generation den ländlichen Raum erobert" von Tobias Bals, Coworking Space Woidhub in Viechtach.
Daseinsvorsorge - ein anmaßendes Wort
Dazwischen rüttelte der Vortrag zu "Daseinsvorsorge und räumliche Gerechtigkeit" von Prof. Dr. Dr. h.c. Wolfgang Huber, ehem. Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland, gründlich durch. Historisch beleuchtete Huber die Herkunft der staatlichen Aufgabe Daseinsvorsorge: "Das Handeln der öffentlichen Verwaltung als "Daseinsvorsorge" zu beschreiben, ist eine deutsche Erfindung." Er plädierte dafür - auch im Abgleich mit anderen Ländern - doch bescheidenere Worte für den Beitrag des Staates zu Bedingungen zur (eigen-)verantwortlichen Lebensgestaltung zu finden. Im Weiteren zeigte Huber auf, wiederum wissenschaftlich wie durch praktische Anschauung belegt, die Wechselwirkung zwischen sozialer und räumlicher Ungerechtigkeit und ermunterte dazu, "die etwas andere Verbindung zwischen sozialer Gerechtigkeit und räumlicher Gerechtigkeit, (...) zum Leitgedanken raumplanerischer Überlegungen zu machen." Er warb dafür, Polarisierungstendenzen in allen Bereichen frühzeitig entgegenzuwirken und mehr in Möglichkeiten, denn in Problemen zu denken.
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